Als im April 2022 die Ausschreibung zu den diesjährigen Schnell Kunst Tagen verfasst wurde, zerrüttete der russische Angriffskrieg auf die Ukraine ganz Europa und weite Teile der Welt.
Nicht ganz zwei Monate wüteten zu diesem Zeitpunkt erneut Zerstörung und Tod. Während einerseits eine ungemein hohe Solidaritätsbereitschaft erkennbar war, war andererseits bereits absehbar, dass diese Empathie für die Flüchtenden aus der Ukraine nicht von Dauer sein würde. Mit dem Start der Schnell Kunst Tage im Oktober war die Stimmung bereits gekippt. „Sozialschmarotzer“, „Wirtschaftsflüchtlinge“, „Da ist doch gar kein Krieg“ und „die nutzen uns nur aus“, waren letztlich die altbekannten Slogans, die in weiten Teilen der deutschen Bevölkerung zu hören waren. Es ist erschreckend, wie in kürzester Zeit rechte Propaganda, Rassismus und Fremdenhass so flächendeckend und über gesellschaftliche Normen hinaus Verbreitung finden konnten. Inzwischen wird die rechte Polemik auch wieder von physischer Gewalt ergänzt. Allein in zwei Wochen brannten in Deutschland mehrere Unterkünfte für Geflüchtete oder wurden beschädigt und beschmiert – Wismar, Bautzen, Rostock, Krumbach, Berlin und Dortmund.[1]
30 Jahre Rostock Lichtenhagen – und noch immer nichts gelernt!? Mit diesem Titel und den bekanntermaßen gesunkenen Hemmschwellen in Krisenzeiten widmeten sich die Schnell Kunst Tage im Jahr 2022 einem der brisantesten zeitgeschichtlichen Themen. Umso erfreulicher ist der Umstand, dass sich fünf Bildende Künstlerinnen und Künstler dem Thema annahmen. Mit Julius Anger, Carsten Borck, Jörg Hannemann, Karoline Kreißl (zusammen mit „Muerbe & Droege“) und Dennis Schnieber beteiligten sich zeitgenössische Kunstschaffende, die nicht nur mit ihrer Kunst, sondern auch mit ihrer humanistischen Persönlichkeit einen herausragenden Beitrag lieferten. Von Montag bis Freitag konnten alle Teilnehmenden jeweils mit einer Einzelausstellung ihre Sichtweise auf Flucht, Krieg, Vertreibung, Entfremdung, Ausgrenzung, Rassismus und Intoleranz präsentieren. Am Sonnabend und Sonntag waren die Künstlerinnen und Künstler in einer Gruppenausstellung vertreten. Der Parkclub Fürstenwalde als Soziokulturelles Zentrum, durchaus mit eher ungewöhnlichen Ausstellungsräumen, zeichnete sich einmal mehr als ausgezeichnete Variante für gesellschaftskritische Ausstellungsprojekte aus. Angesichts der nach wie vor prekären politischen Situation, dem Anwachsen rechtskonservativen Gedankengutes und der zunehmenden Radikalisierung ist an dieser Stelle unser aller ausdrücklicher Dank an die teilnehmenden Künstlerinnen und Künstler gefordert!
Die vielseitige Ausstellungswoche verband unterschiedliche künstlerische Techniken mit einer übergreifend ähnlichen inhaltlichen Ausprägung. Egal ob Grafik, Fotografie, Videokunst, Installation oder Plastik, alle Künstlerinnen und Künstler verarbeiteten das Thema auf ihre eigene Art und Weise. Beispielsweise präsentierte Julius Anger neben anderen Werken seine „Stalinorgel“ als konkreten Bezug zum aktuell wütenden Angriffskrieg auf die Ukraine.[2] Carsten Borck reagierte mit seinen Grafikserien und einem Videobeitrag auf Fremdenfeindlichkeit und menschenverachtende Flüchtlingspolitik in Italien. Jörg Hannemann setzte sich in seinen Fotografien, einer Skulptur und lyrischen Arbeiten mit dem Thema „Wandel“ auseinander. Er verknüpft damit die philosophischen Ansichten Bertold Brechts mit seiner eigenen Reflexion und erforscht Widersprüchlichkeiten im Zusammenhang mit Angst, Flucht und Tod.[3] Karoline Kreißl beteiligte sich zusammen mit „Muerbe & Droege“ mit einer gemeinschaftlichen Installation, in der ein Pistolenlauf auf eine im Fadenkreuz fliegende Friedenstaube zeigt. Ihre Arbeiten tangieren den brüchigen bzw. nicht existenten Frieden auf internationaler Ebene. Darüber hinaus präsentierte Dennis Schnieber eine dokumentarfotografische Serie, die das Ankommen flüchtender Personen in ihrem neuen Heimatort thematisierte.[4]
Rostock Lichtenhagen steht im gesamten Ausstellungsprojekt stellvertretend für alles Unrecht, das unseren Alltag, aber ganz besonders auch den Alltag der Menschen prägt, die gesellschaftlich ohnehin an den Rand gedrängt wurden. Kunst und Kultur versuchen sich dem Unrecht zu widersetzen und können Mut spenden. Sie können kritisieren, aufzeigen und helfen.
Den Auftakt der Gruppenausstellung gestaltete zudem der Rostocker Politikwissenschaftler Roman Guski mit einem Vortrag zu den Pogromen in Rostock Lichtenhagen sowie den Folgen rechtsextremer Gewalt für die heutige Zeit. Einen musikalischen Abschluss fand die Ausstellungswoche mit einem Konzert der Band „Kaltfront“.
Innerhalb kürzester Zeit wurden Bildende Kunst, Politik, Bildung und Musik miteinander verbunden. Sowohl die Gäste als auch die am Projekt beteiligten Personen sind glücklich und zufrieden, dass die Thematik Anklang fand und hoffen, auch mit diesem kleinen Katalog, dass auch in Zukunft mutige Menschen ihre Stimme gegen Fremdenfeindlichkeit und Hass erheben werden.
[1] Zu den unterschiedlichen Anschlägen der letzten zwei Wochen, vom 03. Oktober 2022 gerechnet, sind eine Vielzahl Berichte und Artikel einsehbar. Vgl. u.a. www.sueddeutsche.de/bayern/krumbach-brandstiftung-asylbewerberheim-lka-1.5682171; www.zeit.de/news/2022-11/01/; …
[2] Vgl. Huthmacher, Johanna; Kremeier, Ulrike: Julius Anger. Remix. In: Kat. Ausst. Brandenburgischer Kunstpreis 2022, Schloss Neuhardenberg, Berlin 2022.
[3] Vgl. Hannemann, Jörg: Alles wandelt sich. Intensionen zum Thema. Projektbeschreibung Schnell Kunst Tage 2022.
[4] Vgl. Schnieber, Dennis: ANGEKOMMEN SEIN WERDEN. In: Kat. Ausst. [haima:t], Parkclub Fürstenwalde, Fürstenwalde 2016.