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750 Jahre Fürstenwalde – Künstlerpleinair „man sieht die Stadt vor lauter Bäumen nicht“

Im gesamten Jubiläumsjahr der Stadt dreht sich selbstredend nahezu alles irgendwie um Geschichte. Fürstenwalde war neben Handels-, Handwerker-, Bischofs- und Industriestadt auch eine Stadt des Waldes.

Bereits im Namen wird deutlich, dass Fürstenwalde im 13. Jahrhundert nicht in irgendeiner Steppe, sondern direkt im Schutze des Waldes angelegt wurde. Neben dem Schutz war der Wald aber in erster Linie ein Wirtschaftsfaktor. Aufgrund seines ausgedehnten Waldbesitzes war die Stadt einst eine der reichsten Städte Preußens und bereits der einstige Bürgermeister Jacob Lotichius besang im 17. Jahrhundert den schönen „städtischen“ Wald:
„An Fichten/ Biechen und an Ellern/ Bircken/ Eichen/
Seynd andre Staedte viel die dieser Stadt nicht gleichen:
Zum Brennen und zum Bau ist Holzes mehr als satt/
An Baeumen aller Art/ wie man sie noetig hat.“1
Eine der Entwicklungsgrundlagen unserer Stadt war also der ausgedehnte Waldbesitz. Im Rahmen der Künstlerpleinair-Vorbereitungen wollten wir uns diesem Rohstoff und seinem Nutzen nähern und erörtern, welche Rolle der Wald historisch für Fürstenwalde gespielt hat und welche Konsequenzen sich für die heutige Zeit ergeben. Anknüpfungspunkte konnten der Klimawandel, das globale Artensterben, geopolitische Ereignisse oder der Umgang mit natürlichen Ressourcen sein. Dem Thema entsprechend ist das Pleinair auf die druckgrafische Technik des Holzschnittes beschränkt und verweist gleichzeitig auf die lange Tradition der Vervielfältigungsmedien.
In der ersten Projektphase in Vorbereitung auf das Pleinair konnten sich sechs namenhafte Künstlerinnen und Künstler behaupten und wurden für die Teilnahme ausgewählt.2 Besonders erfreulich ist in diesem Zusammenhang, dass nicht nur Kunstschaffende aus Brandenburg, vornehmlich dem Landkreis Oder-Spree, sondern auch eine Künstlerin aus Krefeld am Pleinair beteiligt war. Krefeld ist als Partnerstadt des Landkreises Oder-Spree von besonderem Interesse und wir freuten uns auf die Mitwirkung und einer damit verbundenen Festigung der partnerschaftlichen Beziehungen.
Am Pleinair beteiligten sich:
Heike Burghardt (Schöneiche), Mauga Houba-Hausherr (Krefeld), Sabine Nier (Berlin), Ulf Püschel (Schöneiche), Ehrhard Thoms (Vierlinden)

An einem gemeinsamen ersten Tag wurden die Künstlerinnen und Künstler auf das Thema vorbereitet, sie erhielten Einblicke in die traditionsreiche forstwirtschaftliche Geschichte der Stadt, ökologische und naturschutzfachliche Hintergründe, Nachhaltigkeit, Naherholung, Wirtschaft und das Thema „Letzte Ruhe“. Pleinair also. Vom Französischen „pleinair“ – „in freier Luft“ abgeleitet.
Holzschnitt also. Vom Deutschen „Holz“ und „Schneiden“ abgeleitet.
Soweit so gut also, sollte man denken.
Wer allerdings schon einmal einen Holzschnitt angefertigt hat, die Materialien kennt und sich die präzise auf Sauberkeit und Feinfühligkeit ausgerichtete Arbeitsweise vor Augen führt, wird die Kalamität zwischen „Pleinair“ und „Holzschnitt“ leicht erkennen. Auch der Bildhauer Ulf Püschel äußerte während der Kunstwoche unter freien Himmel seine Bedenken, als er die Ausschreibung las. Und tatsächlich, so gemütlich das zur Unterbringung bereitgestellte Forsthaus in der Kleinen Heide war und der Arbeitsort ungestörtes, kreatives Arbeiten in freier Natur zuließ, so war es doch ein täglicher Kampf mit den örtlichen Begebenheiten. Zwar blieben die angekündigten Überfälle der märkischen Wolfsrudel aus, die der aus Krefeld stammenden Mauga Houba-Hausherr mindestens eine schlaflose Nacht kosteten, so waren es aber die meteorologischen Einflüsse, die den Teilnehmenden so einiges an Geduld abverlangten. An Wäscheleinen flatterten wie tibetanische Gebetstücher die frischen bunten Drucke im Wind, nächtelange Trocknungsprozesse bei einer gefühlten Luftfeuchtigkeit von übertriebenermaßen 99% (und das im trockensten Bundesland Deutschlands) und dann das sportliche Abverlangen aller körperlichen Kräfte bei einer herannahenden Gewitterfront.

Gleichwohl übten sich die Leidensschwestern und -brüder in völliger Askese. Die Entsagung jeglicher kulinarischer Köstlichkeiten, gesteigert noch durch ein spontanes Grillverbot aufgrund der Waldbrandgefahr, ließ die Teilnehmenden selbst ein Stückchen Kuchen am Nachmittag als höchste von der Kunstgalerie gereichte Gabe erscheinen.

Nun mussten sich die Lieben aber arrangieren. Eine Woche bei Wasser und Brot, Ausgang nur bei guter Führung und hin und wieder ein paar Interessierte, die im Forsthaus den Kunstschaffenden über die Schulter schauten. Auch die lokale Presse ließ sich das Spektakel nicht entgehen und berichtete über die Missstände in der hiesigen Kunst- und Kulturszene. Aber unsere Teilnehmenden wider-setzten sich allen Schwierigkeiten und hatten am Ende vielleicht doch eine schöne Zeit.

Die hervorragenden Arbeiten, die während dieser Woche entstanden, und die Tatsache, dass die Künstlerinnen und Künstler auch noch nach dem Pleinair im Austausch stehen, sprechen jedenfalls dafür.

Christian Köckeritz

1Lotichius, Jacob: Die Stadt Fürstenwalde mit allen ihren zugehörigen Stücken in gebundener Rede oder Poetisch beschrieben, Küstrin 1679, S. 7.
2Zum Pleinairbeginn am 22.08.2022 musste die Grafikerin Sophie Natuschke leider krankheitsbedingt absagen, weshalb am Pleinair fünf Teilnehmende beteiligt waren.