Joachim Böttcher

Katalog zur Ausstellung 2021
Malerei | Zeichnung | Skulptur


21×21 cm, 48 Seiten, Softcover
10,- €

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Joachim Böttcher

Geologisches und Geografisches in den Arbeiten von Joachim Böttcher

Die vordergründige Ausstellungskonzeption bezieht sich in der Fürstenwalder Schau auf die Form. Die recht kleine Auswahl an Plastiken, Skulpturen, Malereien und Zeichnungen schöpft aus einem zentralen Thema, das allen Arbeiten gleich oder zumindest ähnlich ist – das Kantige und Eckige.

Wenn etwas Kanten und Ecken hat, wird meist eine negative Assoziation geweckt, die sich darin begründen soll, dass eben genanntes „Etwas“ unordentlich oder gar unvollkommen sei. Genauer betrachtet, scheint diese allzu schnelle Abwertung genau in das Gegenteil überzugehen. Ecken und Kanten sind interessante Formen, die sich in ihrer Ästhetik und ihren ausgewogenen standfesten Gefügen nach wie vor behaupten müssen. Vorurteilsbelastet scheinen die scharfen Begrenzungen immer nur mit Funktionalität und weniger mit reiner, strukturierter Schönheit in Verbindung gebracht zu werden. Das dem deutschen Dramatiker und Lyriker Christian Friedrich Hebbel zugeschriebene Zitat: „Jedenfalls ist es besser, ein eckiges Etwas zu sein, als ein rundes Nichts.“, beschreibt trotz negativ mitklingendem Laut auch annähernd zutreffend die abstrakten und reduzierten Arbeiten in der Ausstellung der Kunstgalerie im Alten Rathaus Fürstenwalde.

Die Werke sind klar definierbar und beziehen sich auf Aktdarstellungen, Landschaften und strenge Formspiele zwischen Balance und Dysbalance.  Während Titel, Thema oder Motiv nahezu alle Deutungen überflüssig erscheinen lassen, sind es gerade die Formen und die Physiognomie des Dargestellten, worin der Betrachter Klärung wünscht. Assoziationen zu Gebirgsmassiven und Steinbrüchen wirken so naheliegend, dass das verwendete Material (Bronze, Holz, Beton) in Widerspruch steht. Gleichwohl zeigen diese Bronzen, Beton- und Holzobjekte eine gewisse äußerliche Beschaffenheit, die mit Naturstein vergleichbar ist. Explizit sind es hier die Oberflächenstrukturen, die Böttcher mit grafischer Präzision in Linien und flachen Reliefs hervorhebt. Anmutig wirken die bearbeiteten Figuren, wie Relikte der letzten Eiszeiten. Parallel gesetzte Haarstränge erinnern an die Eiszeittheorie belegenden Gletscherschrammen auf Kalk- und Sandstein. Mehrteilige Arbeiten, wie beispielsweise eine „Offene Figur“ aus dem Jahr 1997, ringen um eine Hierarchie in ihren Einzelteilen. Die Höhe beziehungsweise die Ausmaße der jeweiligen Figuren sind dabei weniger entscheidend als ihre Nähe und der Abstand zueinander. Ein ähnliches Formerlebnis findet man an einigen irischen Küsten, wo die Basaltsäulen vulkanischen Ursprungs dicht an dicht eine Gesamterscheinung mit künstlerischen Dimensionen ergeben. Böttchers Arbeiten spielen genau mit diesem geologischen und erdgeschichtlichen Reiz, welchen die Schönheit und Vielseitigkeit der Natur vorgibt. Michael Freitag fasste dieses Formerleben hervorragend zusammen, als er schrieb: „Es gelten nirgendwo von außen gesetzte Kriterien, etwa der Verzicht auf Gegenständlichkeit, Lesbarkeit oder Farbe, sondern immer ist es das Formereignis selbst, um das sich alles dreht – und um dessen einzig mögliche Formulierung.“[1] Diese geologischen Formen finden sich sogar in den stark abstrahierten Akten, in welchen die Körperlichkeit kaum mehr als in einzelnen Gliedmaßen erkennbar wird. Hier sind es monolithische Blöcke, die wieder nur mit Böttchers grafischer Hingabe zur Obenflächengestalt figürliche Äußerung erlauben.

Böttchers Werke entspringen einer Idee, die mit Hilfe verschiedenster aber auch identischer Formen und Körper aufgebaut werden. Heruntergebrochen sind es narrative Nachbildungen (oder Neubildungen) einer Physiognomie und Reduktionen auf einzelne Bausteine. Ein ähnliches Herunterbrechen auf abstrahierte Körperlichkeit erkennt man in den Steinsarkophagen des Ägyptens des Altertums.

In der Malerei und Zeichnung folgt die Bildfindung einem ähnlichen Schema wie das einer literarischen Erzählung. Sie ist ein Prozess, welcher geprägt ist von Tempo, Rückwendung und Vorausdeutung.[2] Dadurch sind auch die zweidimensionalen Arbeiten Böttchers weniger statisch, als der Betrachter vielleicht anfänglich vermuten würde. Auch hier kommt die Geologie zur Hilfe! Der Kunsthistoriker Michael Freitag benutzte bei der Beschreibung der Werke wiederholt das Wort „Tektonik“ und tatsächlich sind eine Vielzahl der Malereien geprägt von divergierenden, konvergierenden und konservierenden Plattenrändern.[3] Entgegen der Plattentektonik sind es allerdings in Böttchers Arbeiten keine Plattenränder im eigentlichen Sinne, sondern eher die Farbränder und die Schichtungen. Ausschnitthaft präsentieren sich im Bild Landschaften, die mal mehr, mal weniger deutlich zum Vorschein kommen. In den Malereien „Atz Boden“ und „Nemrut Dagi“ werden sogar topografischen Örtlichkeiten konkret angesprochen und verraten eine gewisse Lokalisierung. In dem Bild schichten sich Farbflächen, die sich im Behaupten auf der Leinwand einen zähen Kampf liefern. Es sind kalkgrauen Geröllfelder, die hin und wieder von grünen alpinen Matten abgelöst werden und so ein Wechselspiel in der pastellen Farbigkeit entstehen lassen. Gipfel oder Talrand des südtiroler Berges sind nicht ersichtlich. Mit „Nemrut Dagi“ ist ebenfalls ein Berg betitelt, welcher im Südosten der Türkei verortet werden kann. Um den Nemrut Dagi befanden und befinden sich einige Kultstätten verschiedenster kultureller und geschichtlicher Epochen, welche vor allem durch ihre Monumentalstatuen der griechischen Antike an Bekanntheit gewannen. Diese riesigen vom Wetter verwitterten Skulpturen erinnern stark an Böttchers plastischer Gestaltungssprache, weil sie im Laufe der Jahrhunderte mehr und mehr an Figürlichkeit verloren und sich in ihrer reduzierten Form und Farbe der kargen, nahezu vegetationslosen Landschaft einfügen. Nach dieser Metamorphose  werden sie wieder eins mit der geologischen Beschaffenheit der Umgebung. Das, was hier die Natur zurückformt, entspricht dem, was Böttcher seinen Arbeiten an Körperlichkeit entzieht. Im Gegenzug entsteht eine klare Identität und Definition der Form. Und dieses in einer Fülle, wie man es von der Vielfältigkeit geologischer Schätze kennt.

Christian Köckeritz
 

[1] Freitag, Michael: Flächenaggregate. Der Zeichner Joachim Böttcher. In: Ausst.-Kat. Joachim Böttcher. Skulpturengarten. Arbeiten auf Papier, Dresden 2010/2011, S. 50.

[2] Vgl. Martínez, Matías; Scheffel, Michael: Einführung in die Erzähltheorie, 10. überarbeite und aktualisierte Auflage, München 2016.

[3] Vgl. Freitag, Michael: Flächenaggregate. Der Zeichner Joachim Böttcher. In: Ausst.-Kat. Joachim Böttcher. Skulpturengarten. Arbeiten auf Papier, Dresden 2010/2011.