Annemirl Bauer

Katalog zur Ausstellung „Retrospektive“ 2019
Malerei 

21×21 cm, 64 Seiten, Softcover
10,- €

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Annemirl Bauer

Zum Frauentag, am 8. März 2019, wurde neben neun weiteren Straßen eine Fürstenwalder Straße in Annemirl-Bauer-Straße  benannt.  Bei vielen Fürstenwaldern wird diese Wegebezeichnung Fragezeichen hervorrufen und das, obwohl Annemirl Bauer derzeitig die Würdigung erfährt, die ihr Zeit ihres Lebens verwehrt blieb.

Vom 3. September bis 4. Oktober 2019 präsentiert die Kunstgalerie Altes Rathaus Fürstenwalde vornehmlich Pinselzeichnungen aus der späten Schaffensphase der 1989 verstorbenen Künstlerin. Die Galerie möchte dazu beitragen, den Namen Annemirl Bauer auch in Fürstenwalde ins Gedächtnis zu rufen und zu würdigen.

Am 10. April 1939 wurde Annemirl Bauer in einem Bildungs- und kulturbeflissenen Elternhaus in  Weimar geboren. Ihre Mutter Tina Bauer-Pezellen war als „entartete“ Malerin unter dem nationalsozialistischen Regime verfemt. Ihr Vater war als Fotograf und Fachlehrer am Bauhaus tätig.

Annemirl Bauer hegte frühzeitig den Wunsch ebenfalls Malerin zu werden. Sie studierte Angewandte Kunst in Sonneberg und schloss 1958 als „staatliche geprüfte Spielzeuggestalterin“ ab. Nach einem Abendstudium an der Dresdner Kunstakademie zog Bauer nach Berlin, wo sie zwischen 1960 und 1965 an der Kunsthochschule in Weißensee studierte. Nach ihrem Diplom wurde sie automatisch in den Verband der Bildenden Künstler der DDR aufgenommen. Ihrer freischaffenden Tätigkeit sollte damit der Grundstein gelegt worden sein. In den 1970er Jahren erhielt die Künstlerin mehrere staatliche Auftragsarbeiten für architekturbezogene Kunstwerke in Berlin und Thüringen. In dieser Zeit arbeitete Bauer in einem kleinen Ladenatelier in Berlin Prenzlauer Berg. Ihre wirtschaftliche Situation zeichnet allerdings ein anderes Bild, als es womöglich die vorangegangen Auftragsarbeiten vermuten ließen. Nachdem Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit  sie Anfang der 1980er Jahre als „Inoffizielle Mitarbeiterin“ anwerben wollten und Bauer entschieden ablehnte, verschlechterte sich die Lage zunehmend. Die Künstlerin äußerte sich wiederholt zu politischen Themen, forderte öffentlich Reisefreiheit und offene Grenzen, beklagte Intransparenz im Verband Bildender Künstler und Bevormundung durch die Regierung der DDR. Die sozialistische Idee zweifelte sie jedoch nie an.[1]

1985 wurde Annemirl Bauer aus dem Künstlerverband ausgeschlossen. Infolgedessen wurde die Künstlerin zunehmend isoliert und finanziell geschädigt. Trotz einer Wiederaufnahme im Jahr 1986 blieb ihre wirtschaftliche wie private Situation unverändert.  1989 verstarb die Malerin an einem Krebsleiden.

Eines ihrer zentralen Bildthemen war neben der Regimekritik immer auch die „Rolle der Frau“. Scheinbar ihrer Zeit weit voraus, setzte sich Bauer akribisch mit den Geschlechterrollen und den einhergehenden  gesellschaftlichen Normen auseinander. Interessant dabei ist, dass die Geschlechterhierarchien mit einer modernen und sogar eher westlichen Gesellschaft eng verknüpft sind. Nicht selten kann bis heute beobachtet werden, dass „die wissenschaftliche Fokussierung auf den weißen heterosexuellen Mann“ gelenkt ist und dieser „die Menschheit schlechthin verkörpert“.[2] Annemirl Bauer kritisierte wiederholt diese bipolare Geschlechterordnung und griff damit frühzeitig einen Diskurs auf, welcher sich in der Kunstgeschichte seinerzeit erst zu entwickeln begann. Dieses tradierte Weltbild musste erst aufgebrochen werden. Frankreich sollte in dieser frühen Phase feministischen Denkens eine Vorreiterrolle einnehmen. Philosophen wie Michel Foucault oder der Kulturtheoretiker Roland Barthes hinterfragten am Ende der 1960er Jahre die Funktion von Autoren generell. Feministische Kunsthistorikerinnen nutzen diese Überlegungen „weil sich damit die herkömmliche Vorstellung vom Künstler als einem selbstmächtigen, gottähnlichen Schöpfer autonomer Kunstwerke als Konstruktion mit ästhetischen, sozialökonomischen und machtpolitischen Zielsetzungen markieren ließ“.[3]

Frankreich spielte für Annemirl Bauer ebenfalls eine große Rolle. Ihre ersten Studienreisen führten sie 1956, 1958, 1960 und kurz vor der endgültigen Schließung der Grenze 1961 in den Süden des Landes. 1977 trat sie abermals eine Reise nach Frankreich an: nach Paris, dort wo sich interessanterweise feministische Tendenzen zentrierten. Illegale Reisen folgten sogar noch 1987/88!

Dass Annemirl Bauers Werke  und Gedanken ihrer Zeit voraus waren, ist sicher nur ein Grund für die Verweigerung ihrer künstlerischen Anerkennung. Der Ort, an dem sie diese Werke schuf, sicher der Zweite.

Aber auch international sah die Situation nicht wesentlich besser aus. Verhältnismäßig spät begannen auch anderen Orts Künstlerinnen Protestaktionen, um die Diskrepanz zwischen den Geschlechtern zu verdeutlichen.  Als Beispiel soll hier eine 1989 durchgeführte Aktion der Guerrilla Girl reichen. Eine bekannte, aber durch Gorilla-Masken anonymisierte, Künstlervereinigung kritisierte mit einem Plakat die Ausstellungsbevorzugung männlicher Künstler im Metropolitan Museum of Art. Das Plakat zeigte ein von Jean-Auguste-Dominique Ingres gefertigtes Gemälde mit einem liegenden Akt. Der Akt trägt in dem bearbeiteten Plakat eine Gorilla-Maske. Ein Schriftzug verdeutlicht, welche Rolle Frauen (in diesem Fall explizit Künstlerinnen) in den damaligen gesellschaftlichen Strukturen einnahmen: „Do women have to be naked to get into the Met. Museum (Metropolitan Museum of Art in New York)?  Less than 5 % of artists in the Modern Art Sections are women, but 85 % of the nudes are female“.[4]

Annemirl Bauer verkörperte Freiheitsideale in Politik und Gesellschaft. Ihre Werke sind vielfach Zeitdokumente und ihre Forderungen sind aktueller denn je.  Für die Aufarbeitung des Gesamtwerkes bleibt zu hoffen, dass nachfolgende Generationen sich dem annehmen. Ob sozialgeschichtlicher Ansatz oder Gender Studies, Anknüpfungspunkte bietet die Kunstgeschichte genügend.

Wir bedanken uns bei Annemirl Bauers Tochter, Frau Amrei Bauer, nicht ausschließlich für die Bereitstellung der Werke und dem Zustandekommen dieser Ausstellung, wir bedanken uns ganz herzlich für ihr Engagement und für die Kraft und ihre kontinuierliche Arbeit den Namen Annemirl Bauer nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.

Christian Köckeritz
 

[1]Vgl. Kremeier, Ulrike; Tietz, Annette (Hg.): Ich möchte kein gefangener Vogel im Käfig sein. Annemirl Bauer, Ausstellungskatalog dkw. Kunstmuseum Dieselkraftwerk Cottbus und Galerie Pankow Berlin, Cottbus/Berlin 2015, S. 126.

[2] Paul, Barbara: Kunstgeschichte, Feminismus und Gender Studies, in: Belting, Hans; Dilly Heinrich; Kemp, Wolfgang; Sauerländer, Willibald; Warnke, Martin (Hg.): Kunstgeschichte. Eine Einführung, 7. Aufl., Berlin 2008, S. 297.

[3] Paul, Barbara: Kunstgeschichte, Feminismus und Gender Studies, wie Anm. 2, S. 301

[4] Paul, Barbara: Kunstgeschichte, Feminismus und Gender Studies, wie Anm. 2, S. 301