Gerhard Wienckowski

Katalog zur Ausstellung 2019
Aquarell und Grafik

21×21 cm, 68 Seiten, Softcover
10,- €

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Gerhard Wienckowski – Intimität und Bescheidenheit

Fürstenwalde – Die märkische Stadt an der Spree, die einstige Bischofstadt, eine Stadt der Gelehrten und des Humanismus‘, durchaus eine Stadt der Künstler und der Kultur, durchaus eine Stadt mit langer militärischer Tradition. Die Stadt hat eine wechselvolle Geschichte mit allerlei Höhen und Tiefen. Wohl dem, der in Friedenszeiten die ehrbare Stadt erleben und gegebenenfalls mitgestalten konnte.

Gerhard Wienckowski, ein Sohn dieser Stadt und gleichwohl einer ihrer bedeutendsten Künstler, könnte uns heute sicher vieles berichten. Wienckowski wurde im Jahr 1935 geboren, besuchte eine der hiesigen Schulen, erlebte und überlebte die Schrecken des Zweiten Weltkrieges, insbesondere die letzten Apriltage von 1945 als Fürstenwalde von den Nationalsozialisten zur Festung erklärt wurde. Wienckowski verfolgte aber auch den Wiederaufbau in der Nachkriegszeit. Zwischen 1954 und 1966 studierte der Fürstenwalder in Potsdam und Dresden die Fächer Angewandte Kunst, Malerei, Wandmalerei und Freie Grafik. Im Jahr 1966, mit dem Beginn seiner freischaffenden Tätigkeit, wählte Wienckowski die Stadt Eberswalde als neuen Wohnort. Für seine Arbeit sollten aber Dresden und ganz besonders sein dortiger Lehrer Hans Theo Richter von größter Bedeutung werden. Neben seiner künstlerischen Ausbildung, den Stipendien und Künstleraufenthalten in Ahrenshoop und im Schloss Wiepersdorf, wirkten auch seine zahlreichen Reisen stark auf die Motivwahl seiner Werke ein.

1977 erhielt der Maler und Grafiker den Ersten Preis im Wettbewerb für ein Heinrich-von-Kleist-Portrait der Stadt Frankfurt/Oder, worauf 1984 der Frankfurter Heinrich-Kleist-Kunstpreis folgte. Bis ins hohe Alter würdigten Künstlerkollegen und Kunstwissenschaftler sein künstlerisches Werk. 2006 erhielt Wienckowski den bedeutendsten Brandenburger Preis – den Kunstpreis der Märkischen Oderzeitung, und noch im Jahr 2009 folgte der Willi-Oltmann-Preis für Malerei der Willi-Oltmann-Stiftung in Delmenhorst.

2011 verstarb Gerhard Wienckowski in Eberswalde. Er gehört nach wie vor zu den hervorragendsten Aquarellisten und Grafikern Deutschlands. Er genießt höchste Anerkennung von Freunden, Kollegen und Galeristen, weshalb die Kunstgalerie Altes Rathaus Fürstenwalde sich ganz besonders freut, Werke des gebürtigen Fürstenwalders ausstellen zu dürfen.

Es wird einem schwer fallen das gesamte Werk des Künstlers zu beschreiben. Möglicherweise muss die Herangehensweise ebenso minimal aber ausdruckstark wie seine Malerei sein. Bescheidenheit wäre ein minimales und durchaus zutreffendes Wort. Bescheidenheit gehört zum unabdingbaren Gestus seiner Arbeiten. Bescheidenheit in Motiv und Thema, Bescheidenheit in seiner Person und Bescheidenheit in der Wahl seiner künstlerischen Mittel. Wienckowski kam mit geringstem Repertoire aus und beschränkte sich selbst auf Aquarell, Kreide und Tusche, Stift und Feder, sowie Steindruck und Radierung. Bescheidenheit erkennt man darüber hinaus auch im Format – Kleine Blätter, kleine Werke, große Wirkung.

Die Bildthemen sind deutlich voneinander getrennt. Grob gefasst entstanden „Landschaften“ und „Köpfe“. Trotz dieser sehr unterschiedlichen Motive entspringen beide Themen einer ähnlichen Wahrnehmung. Sie entstammen der gleichen Idee und wirken auf den Betrachter ähnlich. Es ist seine eigene Handschrift, ein Unikum. 

In vielen seiner Aquarelle lösen sich jegliche Konturen auf, verschwimmen in diffusem Licht und bilden sanfte Übergänge. Gegenständliches wird auf ein Minimum reduziert und das Werk strahlt Stille und Ruhe aus. Wie durch Milchglas blickend entsteht ein Bild, das sinnliche Wahrnehmungen transferiert und einen Ausdruck von Distanz und Intimität entstehen lässt.

Wienckowskis Landschaften entstanden ohne Rücksichtnahme auf moderne Trends. Mit Sicherheit erahnt der Betrachter eine Inspiration durch den britischen Landschaftsmaler William Turner. Turner und Wienckowski teilen zumindest die Hinwendung zum Licht und zur Atmosphäre. Wienckowskis Landschaften wirken als Pendant zur sich ausbreitenden Bilderflut in Medien und Nachrichten. Im starken Kontrast dazu verdeutlichen die kleinformatigen Aquarelle eine gewünschte Ruhe und Stille. Eine Erhabenheit der Natur zu erkennen, wie sie Wienckowski darstellt, setzt ein hohes Maß an beständigem und korrektem Sehen voraus. Wienckowski war ein Forscher, ein zurückhaltender Beobachter und letztlich ein Interpret des Vorgefundenen[1]. Seine sinnliche Wiedergabe setzt sich aus Reflexion und Imagination zusammen. Seine Landschaften sind atmosphärische Szenerien, teils dramatisch Dunst verhangene Land- und Seestücke. Die Zurückhaltung in der Werkgruppe der „Köpfe“ zeichnet sich auch in den Landschaftsdarstellungen ab. Reduzierung auf das Wesentliche, auf das Minimale, auf das Natürliche und Ursprüngliche. Die unbegrenzte Natur verkörpert umso mehr die Endlichkeit des Menschen. Denkt man doch an die deutschen Romantiker, wie Carl Gustav Carus und Caspar David Friedrich, bemerkt man, dass diese Erscheinung keine neuerfundene ist. Wienckowski reiht sich an dieser Stelle ein. Mit Farbgewalt und fast verschwundener Materie präsentiert Wienckowski seine Naturwahrnehmung, die einsamer kaum sein könnte. Sicher war Gerhard Wienckowski kein Romantiker im Sinne einer epochalen Definition, doch kann er über die konventionellen Grenzen hinaus, in Bezug auf innere Einkehr mit Friedrich, Carus und Runge verglichen werden. Alle vier Künstler haben einen ähnlichen methodischen Ansatz – „den Gang nach innen“[2]. Umso treffender ist folglich C. D. Friedrichs Ausspruch: „Schließe dein leibliches Auge, damit du mit dem geistigen siehest dein Bild. Dann fördere nach Außen, was du im Dunkeln gesehen.“[3] Der Verzicht auf Staffage inmitten idyllischer, teils anmutiger, teils lichtheller und teils dramatischer Landschaft, unterscheidet Wienckowski allerdings völlig von Friedrich.

Wienckowskis Landschaften sind keine naturalistischen Abbildungen, sie versprechen keine topografische Genauigkeit. Sie sind ein Ausdruck einer eigenen Reflexion und Interpretation des Gesehenen. Konturen von Architektur verschwinden meist im Farbgetümmel und sind eher flüchtige Erscheinungen der zum Bild gewordenen Wahrnehmung.     

Die introvertierte Art seiner Malerei und Grafik folgte aus dem Einfluss der Studienzeit bei Hans Theo Richter. Richter lehrte dem jungen Wienckowski einen künstlerischen  Weg ohne Repräsentation[4]. Der intime Dialog zwischen Künstler und Motiv fesselt noch heute den Betrachter der Werke. Zurückhaltung im Werk, Zurückhaltung im Motiv und Zurückhaltung in der eigenen Person ließen autarke Werke entstehen, frei von diktierter Anspannung und politischer Polemik. Insbesondere das Genre des Portraits entwickelte im Laufe der Geschichte enorme Wirkungskreise. Zum Thema Portrait im Spannungsfeld von Selbst- und Fremddarstellung veranstaltete das Museum Junge Kunst in Frankfurt/Oder die sehr gelungene Ausstellung „Blicke und Gesten – Portraits aus der eigenen Sammlung“. Zu Recht stellte der Kurator Armin Hauer neben Werken von 43 weiteren Künstlern auch das Aquarell „Portrait J.W.“ von Gerhard Wienckowski aus. Armin Hauer beschrieb sehr treffend den schmalen Grat zwischen Forderungen und Ansprüchen seitens der Politik sowie der gewünschten Selbstbestimmung der Künstler.[5]

In der Werkgruppe der „Köpfe“ begegnen uns ähnliche Ausgangssituationen wie in den Landschaften. Zurückhaltung und eine distanzierte Menschenbetrachtung bilden den immensen Anteil in dieser Motivgruppe. Lediglich die schwachen und oftmals verschwommenen Konturen verraten eine körperliche Präsenz. Blickkontakt wird vermieden und Distanz bewahrt. Es sind flüchtige Erscheinungen, die ein Bild vor unseren Augen erscheinen lassen. Die Werke fordern eine permanente Konzentration, um sichtbar zu bleiben. Die innere Ästhetik entsteht aus der Unschärfe und aus der scheinbaren Auflösung des Materiellen. Wienckowskis „Köpfe“ sind Portraits vom Wesen und der Sinne. Nicht die äußerliche Individualität oder gar die naturalistische Darstellung, sondern die innere Erscheinung des Portraitierten wird zum Ausdruck seines Schaffens. Wienckowskis effektvollen und distanzwahrenden Portraits beweisen eine sehr moderne und ehrliche Sichtweise auf die Arten der Betrachtung. Nicht die Äußerlichkeit einer Person verrät uns ihr eigentliches Wesen. Innere Werte und das Ablehnen einer allzu schnellen Beurteilung, erleichtern die tatsächliche Individualität zu erkennen und geben die Voraussetzung für ein differenziertes Menschenbild.

Christian Köckeritz
 

[1] Vgl. Tschirner, Monika: Der Maler und Zeichner Gerhard Wienckowski, in: Katalog Gerhard Wienckowski anlässlich der Preisvergabe des Willi-Oltmann-Preises für Malerei. Delmenhorst 2009, S. 7.

[2] Neidhardt, Hans Joachim: Caspar David Friedrich und die Malerei der Dresdner Romantik. Aufsätze und Vorträge. Leipzig 2005, S. 9.

[3] Gerhard Eimer (Bearb.): Caspar David Friedrich. Kritische Edition der Schriften des Künstlers und seiner Zeitzeugen I. „Äußerungen bei Betrachtung einer Sammlung von Gemählden von größtentheils noch lebenden und unlängst verstorbenen Künstlern“ (Frankfurter Fundamente der Kunstgeschichte Bd. XVI), Frankfurt 1999, S. 35.

[4] Vgl. Tschirner (2009), S. 7.

[5] Vgl. Katalog Blicke und Gesten. Portraits aus der Sammlung Museum Junge Kunst Frankfurt/Oder. Frankfurt/Oder 2011.